Ein Memorandum ist eine Denkschrift, eine Stellungnahme oder auch eine Dokumentation von gemeinsamen Standpunkten nach (politischen) Zusammenkünften, die für besonders wichtig oder erinnerungswürdig gehalten werden. Weniger hochtrabend ist die Bezeichnung „Memo“ für kleine Notizen, um Gesagtes oder Gehörtes in Erinnerung zu behalten.
Im Lauf von über zwanzig Jahren habe ich während meiner Arbeit im Buchdruckatelier „Schwarze Kunst“ Andruckbögen, Fehldrucke, Farbvarianten und Papierschnipsel gesammelt, die als visuelle Memos im Papierschrank landeten. Manches fand direkte Verwendung in der Gestaltung von Auflagengrafiken oder Collagen, manches geriet aber auch in Vergessenheit. Als am Ende des Jahres 2002 der Umzug des Ateliers von Hamburg ins Aller-Leine-Tal bevorstand, wurden alle Regale ausgeräumt und für den Transport neu sortiert. Dabei mußte Aufhebenswertes klar von Überflüssigem getrennt werden – eine schwierige Entscheidung, die jeder kennt, der einen Umzug hinter sich hat. Für den Künstler kommt aber erschwerend hinzu, daß gerade das Sammeln unscheinbarer Dinge, vermeintlich unbrauchbarer Gegenstände den Fundus für seine kreative Arbeit bildet. In meinen Entwürfen benutze ich oft farbige, bedruckte wie unbedruckte Papier- und Kartonreste. Manchmal entstehen auf Fehldrucken – verursacht durch falsches Anlegen oder wiederholtes Überdrucken mit unterschiedlichen Formen – erstaunliche Tönungen und Nuancen. Das kalkulierte Spiel mit dem Zufall findet seine Fortsetzung auch während des Auflagendrucks, kein Exemplar gleicht wie ein Ei dem anderen…
Während ich also Papierberge auf- und umstapelte und versuchte, den Überblick zu wahren, kam mir die Idee eines visuellen Poesiealbums, einer ausgewählten Sammlung von all den Papieren, die sich vor mir türmten. Schnell ergab sich auch ein fast quadratisches Format, das an das Memory-Spiel der Kindheitstage erinnert, bei dem zwei identische Karten gefunden und aufgedeckt werden müssen. In MEMO gibt es zwar keine Doubletten, aber jedes Motiv hat einen Bezug zu bestimmten Grafikfolgen und künstlerischen Arbeitsweisen.
Gemeinsam ist allen Grafiken, daß sie im Buchdruck entstanden sind. Generationen von Setzern und Druckern haben mit den Schriften und Werkzeugen der „Schwarzen Kunst“ gearbeitet, jede Letter erzählt eine eigene Geschichte. Beim gegenwärtigen Tun ist die Vergangenheit immer greifbar, ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Arbeit am Computer. Fehlte beispielsweise ein Buchstabe beim Satz eines Plakats, wurde das entsprechende Zeichen auf die Rückseite einer anderen Letter geschnitten. Manchmal finden sich auch unterklebte Zeitungsschnipsel mit rätselhaften Meldungen aus alten Zeiten. Bei einigen Blättern habe ich mit Aluminium-Stegen gedruckt, auf deren weichem Metall sich die Arbeitsspuren der Buchdrucker abzeichnen. Man könnte hier von archäologischen Drucken oder auch von Konkreter Poesie der Arbeitswelt sprechen…
MEMO ist ein Innehalten, ein grafisches Resumée. Die Bilder haben keine festgelegte Reihenfolge – die Numerierung auf der Rückseite gibt lediglich meine Vorlieben wieder – sie lassen sich assoziativ neben- und übereinanderlegen. Manches kommt mir nach all den Jahren fremd, manches sehr vertraut vor. Das direkte Arbeiten, der unmittelbare Abdruck des gesetzten Textes in Verbindung mit der einfachen und kräftigen Bildsprache des Holzschnitts faszinieren mich jedoch bis heute.
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