Für das neue Buchprojekt Schwäler auf dem Gipfel zur Macht verwendete ich Momentaufnahmen, die zum Teil während (m)einer REHA in Damp entstanden. Nur eingeschränkt bewegungsfähig und deshalb stets mit leichtem Gepäck unterwegs, fotografierte ich die Dinge der unmittelbaren Umgebung. Die Poesie des Alltäglichen hatte für mich schon immer einen gewissen Reiz: Das Smartphone entdeckte ich nun als nützliches Instrument, um den passenden Augenblick festzuhalten. Später folgten – mehr oder weniger regelmäßig – weitere visuelle Notizen, die erst einmal im Speicher oder der cloud schlummerten.
Gerhard Eikenbuschs Geschichte vom kleinen Verwaltungsbeamten Schwäler, der eher ungewollt in einem absurden Kosmos einen rasanten Aufstieg hinlegt, wäre bestenfalls mit Karikaturen zu illustrieren gewesen. Dies war aber weder für den Autor noch für mich eine Option und nach einigen gedanklichen Anläufen erinnerte ich mich wieder an meinen mobilen Bilder-Fundus. Mit einem eigens entwickelten »Blaufilter« bearbeitete ich eine stetig wachsende Auswahl von Motiven unter dem Arbeitstitel »blue monday« – alle Bilder sollten im einheitlichen Rhythmus auf der jeweils siebten Seite folgen.
Auf einmal paßte die geschlossene Fahrstuhltür zu einem rissigen Gymnastik-Kissen, der geschlossene Vorhang und die Tür des Krankenzimmers zu abstrakten Licht- und Schattenspielen, eine trostlose Zimmerpflanze zur altbackenen Staffelei, die Momentaufnahme des Computerbildschirms (bevor die Grafikkarte irreparabel ihren Geist aufgab) zu den filigranen Sprüngen einer Panzerglasscheibe nach einem erfolglosen Einbruchsversuch.
Das gebrochene Glas steht konsequent am Ende von Schwälers erfolgreichem Ausbruch aus dem »Kreis der Hölle«, in dem weiterhin menschliche Existenzen vermahlen werden. Dantes Göttliche Komödie als reale Aufführung in der Kultusbürokratie: Darauf muß man erst einmal kommen …
Das Buch kann ab sofort bestellt werden.
Leseprobe: Bei Dante
Im Limbus kein Mensch, keine Seele. Frühstückspause.
Hier war alles rechtwinklig, staubfrei, desinfiziert. Im Regal überm Aktenbock waren Bücher in Linie zu einem Glied angetreten: Caesars Commentarii de bello Gallico, der Kommentar zum Landesrecht, Kleists Penthesilea, Hilberts Grundlagen der Geometrie in der Ausgabe von 1962 sowie Hermann Löns’ Mein Grünes Buch in nachgedunkeltem Leineneinband. Dante hatte sie nach der Farbe ihres Buchrückens ausgewählt, alles Ton in Ton, und wie einen grünen Fächer der Höhe nach aufstellen lassen. Am letzten Samstag im Mai hatte er sie umgedreht, mit dem Vorderschnitt nach vorn. Jetzt standen bei ihm selbst die Bücher mit dem Rücken zur Wand. Das Türkisgrün der Wände (RAL 6016) spiegelte sich auf der fleckenfreien Melamin-Haut der Aktenschränke.
Schwäler trat vor bis zur Kunstrasenmatte vorm Schreibtisch. Er horchte in Richtung der angelehnten Seitentür und hüstelte, um auf sich aufmerksam zu machen. Als es im Raum nebenan still blieb, hob er den Blechdeckel der malachit-gemusterten Tea-Time Gebäckdose vor ihm an, tastete hinein, erkannte die Oberfläche einer Cigarette Russe, buttrigmürb, seiner Favoritin unter den französischen Gebäck-Spezialitäten. Mit einer einzigen Bewegung steckte er sie in den Mund und hamsterknackte sie.
»Komm Se ändlich rain!«
Schwäler züngelte über die Lippen, wischte sich die Krümel von seiner Hand an seiner schwarzen Jeans ab und stolperte mit seinen langen Beinen ins Allerheiligste. Hinter dem wuchtigen Schreibtisch vor der imposanten Fototapete des Weltsystems der Göttlichen Komödie mit Hölle, Fegefeuerberg und Paradies, die die purpurne Stirnwand (RAL 3004) des Ministerzimmers überdeckte, saß Dante.
»Ich soll einen Vorgang abholen.«
Dante zog die Nase hoch, blickte auf den Terminkalender, äugte zu Schwäler. Schniefte. »Se ham Krümmekes anne Schnute und anne Buxe, putzn se sich die ma wech.«
Schwäler sagte sich im Kopf das 17er-Einmaleins auf, hielt die Luft an und fiel in die Regierungsratsstarre.
»Se sind Härr Schwäler?«
»Ja, genau.«
»Jagenau«, machte Dante ihn nach, »Se sagn dat wie de BWLer in Hochwassa-Hosn«, knurrte er, »mit dieset ›ja genau‹ komm se bei mir nich weita.« Er griff eine Laufmappe vom Stapel, signalrote Diagonale auf altrosa Deckel, darüber in knallroter fetter Schrift: ›Eilt! Von Hand zu Hand!‹. »Glückwuhnsch. Se sind beföadat. Oberamtsrat. Nun nehm se dat Dingens.«
Als Schwäler die Laufmappe mit den Fingerspitzen berühren wollte, zog Dante sie etwas zurück. Schwäler streckte seine Hand vor, da zog Dante die Mappe noch weiter zurück bis fast vor seine Brust. Schwäler fasste die Laufmappe mit einem beherzten Griff, weit über den Schreibtisch vorgebeugt, und erschrak, weil Dante sie weiter festhielt.
»Se brauchn doch kain Diehna zu machn für mich.« Dante schaute ihm ins Gesicht, ließ die Mappe los. Er zog die untere Schreibtischschublade bis zum Anschlag auf, holte zwei Cognacschwenker und eine Flasche Eifelkorn hervor, erhob sich, ein großer mächtiger Mann, ging zur Sitzgarnitur am bodentiefen Fenster, ließ sich in den tiefen Ledersessel fallen. »Komm’n se und bringn se de Mappe und watt zu Schraibn mit«, rief er und winkte Schwäler zu sich heran. Er schenkte ein, nippte am Glas. »Dat habn we uns gezz abba verdient. Sezzn se sich doch. Se brauchn kaine Angst habn.« Er deutete mit dem Cognacschwenker in der Hand auf die Fototapete: »Abba dat hia dat Paradies iss, dat wissen se schon, odda?«